Wohnen im Industriedenkmal? Immer häufiger bemühen sich Städteplaner, Tradition und Moderne miteinander zu verknüpfen und dadurch etwas Besonderes zu schaffen …
Idyllische Bachläufe, imposante Fassaden, eine großzügige Flaniermeile. Das sind nicht unbedingt die Attribute, die man mit einem modernen innerstädtischen Neubauprojekt in Verbindung bringt. Denn Platz ist gerade in größeren Städten (teure) Mangelware. Die Nachverdichtung, also das Schließen einzelner Baulücken, erweist sich oft als einzige Möglichkeit, neuen Wohnraum zu schaffen.
Gutes Beispiel Augsburg
Doch es gibt Ausnahmen. Zum Beispiel das La Fontana Due in Augsburg. Unter diesem Namen entstehen auf dem Gelände der ehemaligen Kammgarnspinnerei rund um den Schäfflerbach 42 moderne Eigentumswohnungen. Hinzu kommen Gewerbeflächen, Gastronomie und Grünanlagen. „Wir bauen nicht weniger als einen neuen Stadtteil“, sagt Heinz Schnürch, Geschäftsführer der Millenium Building La Fontana Uno/Due. Seine Firma realisiert das Projekt in dem historischen Industriedenkmal – wohl wissend, dass sich damit ein Stück Geschichte wiederholt. Mitte des 19. Jahrhunderts schlug der Nürnberger Kammgarnfabrikant Johann Anton Friedrich Merz in der Fuggerstadt seine Zelte auf. Er baute jedoch nicht nur Produktionsstätten, sondern auch Wohnungen für die Arbeiter, ein Bade- und Waschhaus, medizinische Einrichtungen und eine Bibliothek. In einer Zeit, in der Arbeiter von den meisten Unternehmern nicht eben menschlich behandelt wurden, bewies Merz damit Pioniergeist und schuf ein sehr besonderes Areal. Auch das Fontana Due will „Wegbereiter für neues Wohnen und Arbeiten“ sein.
Historische Bauwerke können Wohnsituation entspannen
Die Idee, Tradition und Moderne bei der Städteplanung miteinander zu verknüpfen, wird immer populärer – Industriedenkmäler sind dafür perfekt geeignet. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Für die Kommunen etwa bietet die Umwandlung alter Bestände in moderne Wohnungen Möglichkeiten, die angespannte Wohnsituation vor allem in Großstädten zu entspannen und gleichzeitig einen Beitrag zur Wahrung der eigenen Geschichte zu leisten. Es sind schließlich nicht zuletzt historische Bauwerke mit ihren prachtvollen Fassaden, die das Bild vieler bayerischer Städte prägen.
Tradition vermittelt Gefühl von Heimat
Gleiches gilt für das Industriedenkmal wie die Augsburger Kammgarnspinnerei. Ein solch traditionsreiches Gebäude zu beziehen, wirkt identitätsstiftend und vermittelt nicht nur Alteingesessenen ein Gefühl von Heimat. „Die Kombination aus modernem, urbanem Leben und gewachsenem Bestand schätzen sowohl ausgewiesene Städter als auch zugezogene Neu-Augsburger“, hat Paul Reitzle, Leiter des Teams BauGeld bei der PSD Bank München, beobachtet.
Charme der etwas kostet
Für Käufer hat die Kombination aus Alt und Neu aber noch aus anderen Gründen Charme. Wer in ein solches Objekt investiert, sichert sich den Charakter des alten Gemäuers, erhält aber zugleich den Komfort und die zeitgemäße Ausstattung eines Neubaus. „Neubauten wie die im alten Kammgarnquartier haben aufgrund ihrer gehobenen Qualität zwar ihren Preis“, sagt Finanz-Experte Reitzle. „Dafür sind aber die Rahmenbedingungen für eine Finanzierung derzeit so günstig wie nie.“ Wer sich die aktuellen Niedrigzinsen für zehn Jahre sichert und ein bisschen Eigenkapital mitbringt, kann eine 100-Quadratmeter-Wohnung nebst Tiefgarage günstig finanzieren.
Es gibt Abschreibungsmöglichkeiten
Käufer, die eine umgebaute Immobilie nicht selbst bewohnen, sondern als Kapitalanlage nutzen wollen, können zudem in einigen Fällen von den Abschreibungsmöglichkeiten für Baudenkmäler nach § 7i des Einkommensteuergesetzes profitieren. Die Objekte im Kammgarnquartier, bei denen das möglich ist, haben sich Erwerber jedoch bereits gesichert.
Industriepionier Merz hätte diese Möglichkeit bestimmt gefallen. Denn schön zu wohnen und dabei Steuern zu sparen kommt vermutlich nie aus der Mode.