Polaroids, handgeschriebene Briefe, Urlaub im Funkloch: Einfach mal Offline-sein steht angesichts der zunehmenden Digitalisierung plötzlich wieder hoch im Kurs …
„Die Stille der Natur! Nur ich alleine! Herrlich!“ Schnell das Handy zücken, ein Selfie vor dem Panorama schießen und flugs im Sozialen Netzwerk posten: „Ich schalte endlich mal ab!“ Eine paradoxe Szene, die nicht nur bei der „Generation Kopf unten“ zu beobachten ist. Ständig über Smartphone oder Tablet gebeugt, suchen viele selbst dann das digitale Umfeld, wenn sie eigentlich gerade ganz auf die analoge Welt konzentriert sein könnten.
„Back to the roots“
Doch allmählich erwächst eine Gegenbewegung zur Übermacht des Digitalen. Immer mehr Menschen sehnen sich nach echten Erlebnissen. Sie tüfteln über Handarbeiten, kochen mit Freunden oder treiben Sport Sie „entfreunden“ sich von allen Facebook-Freunden, die sie noch nicht im echten Leben getroffen haben. Sie buchen „Urlaub im Funkloch“ und schreiben echte Briefe.
Ja, persönliche Nachrichten dürfen gerne wieder als Handarbeit daherkommen – sogar bei digitalen Vollblutprofis. Olga Benner etwa, Inhaberin einer Social-Media-Agentur in Dortmund, greift in bestimmten Situationen ganz bewusst zum Stift.
„Zu besonderen Anlässen ist das einfach eine schöne Überraschung“. (Olga Benner, Inhaberin Social-Media-Agentur in Dortmund)
Handschriftliche Briefe auf Bestellung
So besonders sind handgeschriebene Zeilen mittlerweile, dass sogar spezialisierte Handschrift-Manufakturen nachgefragt werden. Im Berliner Unternehmen Schreibstatt etwa bringen über 80 Schönschreiberinnen auf Bestellung Zeilen auf Papier. Handschriftliche Briefe, Geburtstagskarten oder Einladungen werden nachgefragt. „Ein von Hand geschriebener Brief vermittelt viel Wertschätzung“, erklärt Schreibstatt-Geschäftsführer Thorsten Petzold. „Das Seltene in unserem Leben ist kostbar, und so steigt der Wert handgeschriebener Notizen.“
Offline ist Trend – auch in Unternehmen
Erstaunlicherweise sehnen sich vor allem Digital Natives nach Offline-Erlebnissen. Der Hamburger Jugendkulturforscher Philipp Ikrath spricht vom Trend der „Avantgarde der digitalen Aussteiger“.
Auch Unternehmer erkennen, dass das Abschalten der digitalen Welt ihren Arbeitnehmern guttut. Der Volkswagenkonzern etwa leitet am Wochenende bewusst keine E-Mails weiter, andere schicken ihre Mitarbeiter zum digitalen Entgiften auf Digital-Detox-Workshops.
Liebhaber der analogen Musik
Erklärte Fans des Analogen schwören inzwischen sogar wieder auf gute alte Bekannte – die klassische Langspielplatte aus Vinyl. Laut Branchenverband Musikindustrie haben sich die Umsätze von Vinyl-LPs in den vergangenen zehn Jahren mehr als verfünffacht. Die glänzende Scheibe aus der Hülle gleiten lassen, behutsam auf den Plattenteller legen, die Nadel aufsetzen und dem zarten Knistern lauschen. Was Anfang der 1980er-Jahre angesichts der Innovation CD noch als unhandlich und störanfällig galt, macht für Analogfans heute den Reiz aus. Störgeräusche als Gegenpol zur digitalen Antisepsis.
Liebhaber der analogen Fotografie
Oder nehmen wir die Fotografie: Die Bilder aus dem Familienurlaub trafen bis Ende des vorigen Jahrhunderts oft erst Tage später im Fotoladen ein. Heute sind Fotos in Sekundenschnelle via Smartphone geknipst und damit schneller und massenhafter geworden. Gerade deshalb lieben die Entschleunigungsaktivisten Analogfotografie oder Polaroidsysteme. Dahinter steckt die Lust am Unikat in Zeiten der Bilderflut.
So findet auch der Ausflug in die Einsamkeit der Berge erst Tage später zur Bildform. Die Konzentration auf den Augenblick verbleibt dem Augenblick – und der kommt Tage später beim Abholen der Bilder noch einmal zurück. Wie früher eben.